Tagungsbericht „All in! Politische Bildung in Vielfalt vereint?“
Am 16. und 17. Januar 2025 diskutierten Wissenschaftler*innen, Praktiker*innen sowie weitere Multiplikator*innen politischer Bildung bei der Fachtagung „All in! Politische Bildung in Vielfalt vereint?" in Berlin aktuelle Herausforderungen und Perspektiven politischer Bildung in einer zunehmend vielfältigen und pluralistischen Gesellschaft. Die Tagung fand im Rahmen des Projekts „Vielfalt gestalten: Fachforen Politische Bildung und Demokratieförderung“ der Transferstelle politische Bildung/Transfer für Bildung e.V. statt.
Am 16. und 17. Januar 2025 diskutierten Wissenschaftler*innen, Praktiker*innen sowie weitere Multiplikator*innen politischer Bildung bei der Fachtagung „All in! Politische Bildung in Vielfalt vereint?" in Berlin aktuelle Herausforderungen und Perspektiven politischer Bildung in einer zunehmend vielfältigen und pluralistischen Gesellschaft. Die Tagung fand im Rahmen des Projekts „Vielfalt gestalten: Fachforen Politische Bildung und Demokratieförderung“ der Transferstelle politische Bildung/Transfer für Bildung e.V. statt.
Durch die Beteiligung von Expert*innen verschiedener Praxisfelder politischer Bildung bot die Veranstaltung Raum für interdisziplinären Austausch und Einblick in die Vielfalt der Fachdebatten, der praxisfeldspezifischen Perspektiven auf Strukturen und in verschiedene Bildungskonzepte für politische Bildung in einer modernen, postmigrantischen Gesellschaft.
Eröffnung und Einführung
In ihrer Einleitung betonte die Moderatorin Sandra Karangwa die Herausforderungen und Perspektiven und die zentrale Bedeutung von Chancengleichheit und gesellschaftlicher Teilhabe als Leitprinzipien politischer Bildung in einer zunehmend diversifizierten Gesellschaft.
Dr.in Helle Becker, Geschäftsführerin von Transfer für Bildung e.V., gab in ihrem Vortrag einen Überblick über zentrale Herausforderungen politischer Bildung. So sprach sie die Schwierigkeiten bei der Professionalisierung nonformaler politischer Bildung an. So gebe es nach wie vor nur wenige spezialisierte Studiengänge, die Fachwissen unterschiedlicher Disziplinen zusammenführen. Qualifikation in bzw. für nonformale Bereiche erfolge daher immer noch meist praxisnah durch „learning by doing“ und Selbstprofessionalisierung. Dies führe jedoch zu einer Heterogenität von Konzepten und Zugängen und erschwere eine Konsensbildung in Hinblick auf gemeinsame Fachstandards.
Die daraus folgenden Unklarheiten im Professionsverständnis spiegelt sich auch in der Praxis und in den Diskursen zu politischer Bildung wider, die stark fragmentiert sind. Besonders die Trennung von Jugend- und Erwachsenenbildung, in verschiedene Felder der Kinder- und Jugendarbeit und der Erwachsenenbildung, thematische Abgrenzungen sowie daraus resultierende uneinheitliche Zuständigkeiten zwischen verschiedenen Behörden erschweren die Fachdebatten.
Anhand der Topografie der Praxis politischer Bildung, einer von der Fachstelle politische Bildung / Transfer für Bildung e.V. entwickelten Grafik und interaktivem Tool, veranschaulichte sie die Vielfalt der formalen wie nonformalen politischen Bildungslandschaft, die jedoch von begrenzten Ressourcen geprägt ist.
Dr.in Helle Becker machte deutlich, dass die Nutzung unterschiedlicher Lernkontexte an Bedeutung gewinne. So könne politische Bildung in der Arbeitswelt durch Kurzformate wie „politische Bildung in der Mittagspause“ verankert werden. Auch solche kurzen Formate bieten Möglichkeit, um Raum für politische Bildungsgelegenheiten zu schaffen.
Becker erinnerte daran, dass politische Bildung sich kontinuierlich weiterentwickeln muss, um auf gesellschaftliche Herausforderungen reagieren zu können. Professionalisierung, Vernetzung, Austausch, Transfer zwischen den verschiedenen Praxisfeldern und hybride Bildungsformate seien zentrale Themen für die Zukunft.
Die Aufzeichnung des Vortrags finden Sie hier auf YouTube.
Keynote von Mo Asumang
Mo Asumang, eine prominente Stimme im Bereich Antidiskriminierungsarbeit und Antirassismus, sprach in ihrer Keynote über ihre Arbeit als Filmemacherin, Autorin, Moderatorin, Dozentin und Mitgründerin des Vereins Mo:Lab e.V.
Asumang betonte die Bedeutung von Kommunikation und kritischem Diskurs bei der Dekonstruktion rassistischer Narrative. Sie plädierte für eine Auseinandersetzung mit menschenfeindlichen Ideologien durch direkte Konfrontation und sachliche Argumentation, anstatt durch Ausgrenzung. Zudem unterstrich sie die Notwendigkeit, Identitätskonstruktionen differenziert zu betrachten und starre Zuschreibungen zu hinterfragen.
Sie betonte, dass die Überwindung von Rassismus sowohl strukturelle Maßnahmen als auch individuelle Reflexion und gesellschaftliches Engagement erfordere und unterstrich die Bedeutung von Bildungsarbeit als Schlüssel zur Förderung demokratischer Stabilität und interkultureller Verständigung. Ihr Verein Mo:Lab engagiert sich genau in diesem Bereich, indem mit innovativen Dialogformaten und der Ausbildung von Dialog-Botschafter*innen die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit antidemokratischen Haltungen gefördert und somit aktiv zur Stärkung der Demokratie beigetragen wird.
Workshops zum Austausch
In einer Workshopphase hatten die Teilnehmenden die Möglichkeiten, verschiedene Diskurse politischer Bildung vertieft zu diskutieren. Es wurde über die Umsetzung von Empowerment in politischer Bildung, Sozialarbeit und Aktivismus diskutiert, insbesondere über die Rolle von „Betroffenen“ und „Nicht-Betroffenen“. Ein weiterer Schwerpunkt lag auf der Integration migrantischer Perspektiven in die politische Bildung sowie der Förderung der Teilhabe von Migrant*innen an politischen Bildungsangeboten. Auch die Frage, wie politische Bildung in hybride Settings wie der Kinder- und Jugendarbeit oder soziale Bewegungen integriert werden kann, wurde erörtert. Ebenfalls wurde das Spannungsfeld zwischen Extremismusprävention und politischer Bildung behandelt. Unter dem Leitgedanken, dass politische Bildung mehr als Prävention ist, stand ein Umgang mit kontroversen Themen im Fokus, der die Offenheit und Pluralität der Gesellschaft nicht einschränkt.
Kabarettistische Reflexion politischer Bildung: Eine Performance von Alexej Boris
Alexej Boris bildete mit einer Performance den inhaltlichen Abschluss des ersten Veranstaltungstags und kombinierte Humor mit analytischer Schärfe, um die Herausforderungen politischer Bildung in einer polarisierten Gesellschaft zu beleuchten. Er erzählte autobiografische Erlebnisse aus seiner Jugend in der Sowjetunion und reflektierte darüber, wie die kritische Intervention seiner Mutter seine politische Sozialisation beeinflusste. Diese Erfahrung diente als Ausgangspunkt für seine eigene Auseinandersetzung mit dem Stellenwert politischer Bildung.
Zudem thematisierte er die Rolle politischer Bildung als Schutzmechanismus gegen extremistische Rhetorik und die Herausforderungen ihrer Integration in gesamtgesellschaftliche Diskurse. Boris stellte Kabarett und politische Bildung nicht als Gegensätze, sondern als komplementäre Ansätze zur kritischen Reflexion gesellschaftlicher Prozesse dar. Seine Performance sensibilisierte das Publikum für die Notwendigkeit, politische Bildung in verschiedene gesellschaftliche Kontexte zu übertragen und neue methodische Zugänge zu entwickeln.
Ausschnitte der Performance finden Sie hier auf YouTube.
Podiumsdiskussion „Strukturen nonformaler politischer Bildung“
Der zweite Veranstaltungstag startete mit einer Podiumsdiskussion zum Thema „Strukturen nonformaler politischer Bildung“. Moderiert von Sandra Karangwa diskutierten Yasemin Soylu (Mosaik Deutschland e.V.), Alfred Roos (Landes-Demokratiezentrum Brandenburg) und Prof. Dr. Andreas Thimmel (TH Köln) über Herausforderungen und Potenziale der nonformalen politischen Bildung in Deutschland.
Im Mittelpunkt der Diskussion stand die pluralistische, dezentrale Struktur nonformaler politischer Bildung. Yasemin Soylu betonte die Notwendigkeit, Bottom-up-Initiativen institutionell zu stärken, indem langfristige Förderstrukturen geschaffen werden, die Planungssicherheit und Innovationen ermöglichen. Bezüglich der Frage nach der Profession bzw. Qualifizierung in diesem Bereich wurde betont, dass der Übergang vom Ehrenamt zur Profession unterstützt werden sollte, um sowohl personelle als auch strukturelle und inhaltliche Aspekte politischer Bildung nachhaltig zu stärken.
Alfred Roos wies auf die politische Einflussnahme durch die AfD hin, die demokratische Bildungsstrukturen delegitimieren wolle. Er plädierte für eine differenzierte Betrachtung der Förderbedarfe, insbesondere unter Berücksichtigung der Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland. Roos hob hervor, dass etablierte bzw. erfahrene Akteure im Feld Stabilität bringen, gleichzeitig jedoch neue Akteure vor Herausforderungen stellen, da diese nur begrenzte Möglichkeiten haben, sich durchsetzen.
Prof. Dr. Andreas Thimmel wies auf die Bedeutung wissenschaftlicher Begleitung und kontinuierlicher Weiterentwicklung politischer Bildungsarbeit hin. Er kritisierte, dass postmigrantische Jugendliche in der Vergangenheit oft nicht ausreichend in politische Bildungsarbeit eingebunden wurden und plädierte für eine stärkere Ausrichtung auf gesellschaftliche Inklusion und die Bekämpfung strukturellen Rassismus.
Die Diskussion unterstrich, dass langfristige Förderung, gezielte Unterstützung von Bottom-up-Initiativen und die Auseinandersetzung mit politischen Einflussversuchen notwendig sind, um die Wirksamkeit und Innovationskraft nonformaler politischer Bildung in Deutschland langfristig zu sichern und eine pluralistische Struktur zu ermöglichen bzw. zu erhalten.
Die Aufzeichnung der Podiumsdiskussionen finden Sie hier auf YouTube.
Workshops zu „Qualität und Profession politischer Bildung“
In vier weiteren Workshops wurde anschließend unter verschiedenen thematischen Schwerpunkten diskutiert, ob angesichts der zunehmenden Diversifizierung der Akteurslandschaft in der politischen Bildung ein gemeinsamer Nenner in Bezug auf Wissen, Werte, Kompetenzen und Qualitätsvorstellungen gefunden werden kann. Ein wesentlicher Aspekt war die Entwicklung spezifischer Kompetenzen für Fachkräfte politischer Jugend- und Erwachsenbildung, die als Basis für eine qualifizierte Bildungsarbeit dienen. Ebenso wurde die Bedeutung der verschiedenen Wissensbezüge hervorgehoben, die notwendig sind, um aktuelle gesellschaftliche und politische Themen fundiert zu vermitteln. Als weiteres Thema wurde die Auseinandersetzung mit den Werten, die die Arbeit politischer Bildungsinitiativen leiten sollten, diskutiert, insbesondere im Hinblick auf die Förderung einer demokratischen und vielfältigen Gesellschaft. Darüber hinaus wurde erörtert, welche Qualitätsmerkmale politischer Bildung dazu beitragen können, fachliche Standards zu sichern und gleichzeitig die Vielfalt der Perspektiven und Ansätze in diesem Feld zu berücksichtigen.
Abschlussdiskussion und zentrale Erkenntnisse
Die Fachtagung endete mit einer gemeinsamen Diskussion mit den Teilnehmenden der Fachtagung, moderiert von Thomas Gill (Berliner Landeszentrale für politische Bildung). Unter dem Titel „In Vielfältigkeit vereint!? Was haben wir gelernt und was machen wir daraus?“ diskutierten Andrea Rühmann (Bundesausschuss für politische Bildung e.V.), Dr.in Helle Becker (Transfer für Bildung e.V.) und Makda Isak (Soziologin und Expertin für Anti-Diskriminierungsarbeit) zu der Frage, wie politische Bildung in einer pluralistischen Gesellschaft zu gestalten ist, damit unterschiedliche Perspektiven integriert und eine dialogische Kultur gefördert werden können.
Dr.in Helle Becker betonte die Notwendigkeit und Herausforderung, verschiedene Akteure, Institutionen und Programme im Bereich politische Bildung besser zu koordinieren und aufeinander abzustimmen. Sie wies darauf hin, dass die Vielfalt von Akteuren und Settings notwendig sei, und politische Bildung als Bürger*innenrecht eingeklagt werden solle. Dafür müssten nachhaltige Strukturen geschaffen werden, um den Zugang zu Bildungsangeboten zu erleichtern. Dies sei beispielweise mit einer Umstellung der Förderpolitik möglich, die sich auf die Schaffung einer stabilen und jederzeit abrufbaren Infrastruktur konzentriere. Andrea Rühmann wies auf die Komplexität der Erwachsenenbildung hin, die differenzierte Bildungsformate und Flexibilität erfordere, und kritisierte die kurzzeitige Finanzierung von Projekten, die nachhaltige Strukturen erschwere. Makda Isak thematisierte die Herausforderungen für Migrant*innenorganisationen und forderte eine stärkere langfristige institutionelle Verankerung der Anti-Diskriminierungsarbeit in den Förderstrukturen politischer Bildung. Sie kritisierte die phasenweise Aufmerksamkeit für bestimmte Themen und das Fehlen langfristiger Förderstrukturen, die die Arbeit marginalisierter Gruppen erschwere.
Insgesamt wünschte man sich mehr Gelegenheiten für einen fachlichen Austausch zum Verständnis und zu Qualitätsvorstellungen politischer Bildung, zumal in der Praxis viele Gemeinsamkeiten und Schnittstellen zu beobachten seien. Auch für Austausch und Kooperation seien die strukturellen Versäulungen und Zuständigkeiten hinderlich.
Die Ton-Aufzeichnung der Abschlussdiskussionen finden Sie in Kürze auf YouTube.
Fazit
Die Fachtagung „All in! Politische Bildung in Vielfalt vereint?“ hob die zentrale Bedeutung von politischer Bildung für Teilhabe, gesellschaftlicher Integration und Demokratie in einer pluralistischen Gesellschaft hervor. Ein wichtiger Aspekt war die Notwendigkeit und Forderung nach stärkerer Verständigung und Vernetzung von Akteuren politischer Bildung, die auch aktuelle soziale Bewegungen einschließt.
Die Diskussionen und Workshops lieferten wertvolle Impulse für Handlungsmöglichkeiten politischer Bildung. Hervorgehoben wurde die Notwendigkeit einer flexiblen politischen Bildungsarbeit, die sich kontinuierlich an gesellschaftliche Transformationsprozesse anpassen muss. Dafür seien gemeinsame Qualifikationsstandards weiterzuentwickeln und Förderbedingungen zu ändern, um politische Bildung zukunftsfähig zu gestalten.
Die Fachtagung fand im Rahmen des Projekts „Vielfalt gestalten: Fachforen Politische Bildung und Demokratieförderung“ statt. Im Projekt hat die Transferstelle politische Bildung von Transfer für Bildung e. V. Fachdiskurse und Akteure der politischen Bildung und angrenzender Felder in mehreren Fachforen zusammengebracht.
Veröffentlicht am 17.03.2025






